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Reise durch Südchile und Patagonien

 

- Bericht an meine Kolleginnen und Kollegen am Hilda-Gymnasium  -

  

Lieber Herr Stöhr, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!

Liebe Damen und Herren von der Schulverwaltung!

 

Zunächst möchte ich Dank sagen für die eMails und die Grüße von Ihnen, die mich bisher erreicht haben. Je weiter man weg ist, umso wichtiger werden einem diese Zeichen der Verbunden­heit. Auf Ihre Mails werde ich gesondert antworten.

Ich revanchiere mich, indem ich Ihnen, nach und nach, einen kurzen Bericht über den Ver­lauf  unserer Reise durch Patagonien schreibe und schicke. Um alle wichtigen Erlebnisse aufzu­schreiben, bzw. zu lesen, brauchte es Tage. Also muss ich auswählen, schreibe knapp und z.T. in Satzfetzen. Beim nächsten Deutschlandbesuch kann ich Ihnen ja mündlich mehr berichten.

 

 

Sonntag. 15. Dezember 2002

15 Uhr. Endlich ist alles gepackt, fahren noch nach Santiago rein und lassen bei Freunden ein Paket mit wichtigsten Sachen, falls doch bei uns eingebrochen würde. Reisevorbereitungen wa­ren u.a. unser Häuschen in Ordnung bringen, Rasen und Pflänzchen schneiden, ums Haus herum kehren, putzen, mit Patricio regeln, dass er das tägliche Gießen und die Gartenpflege übernimmt, die elektronische Hausüberwachung regeln, zu sorgen, dass anfallende Rechnungen für Strom, Wasser und Telefon bezahlt werden, Nachbarn informieren, Weihnachtspost auf den Weg bringen, usw. Fahrt nach 200 km gegen Süden ab von der Autobahn und durch die asphaltierten Seitenstra­ßen des chilenischen Campo, weiter mit häufigen Eukalyptusalleen an den Straßenrändern, den pit­toresken Dörfchen, die um die Schatten und Kühle spendende Plaza herum angelegt sind, vorbei an ausgedehnten Obstfeldern Mittelchiles, an immensen Weinbergfeldern des Colchagua-Tales, wo ganz neue Weinregionen erschlossen wurden, die die Märkte bes. in USA und Japan, aber auch in Europa (auch Handelsketten in D) erobern. Chile ist eines der größten Wein- und Traubenexport­länder der Welt. Aber auch anderes Obst (Äpfel, Kirschen, Birnen, Avocaten, u.ä. Mittelmeer­früchte) gedeihen in diesem Mittelmeerklima und gelangen ins Löhrcenter und zu Aldi. Den Campo zu durchfahren ist eine Augenweide. Abends im besten Hotel von Cauquenes, untere Mittelklasse, die wir sowieso auf Reisen bevorzugen, um das Budget zu schonen. –

Montag. 16. Dezember 2002.

Weiter nach Süden nach Concepción, das mit seinem Hafen eine der wichtigsten Städte Chile ist, eine geschäftige Stadt, aber langweilig, fahren einmal kreuz und quer und dann weiter am Bio-Bio entlang wieder auf die Autobahn gen Süden. An den Rändern dieses hier mehrere hundert Meter breiten Flusses  haben sich die Reichen wunderschöne Villen angelegt. Der Bio-Bio war Jahrhunderte lang die Südgrenze zwischen dem von den Spaniern eroberten Gebietes und den Arau­kaner-Indianern, oder in ihrer Sprache, den Mapuches. Wir lassen diesmal das schöne Städtchen Temuco, das Zentrum Araukos, links liegen. Von dem heftig entbrannten Konflikt zwischen Chile und den Mapuches, von denen etwa 500 000 bis 1 Million in Reservaten leben oder in den Städten, wo sie allerdings nicht mehr ihre Sprache sprechen, wissen wir nur aus der Zeitung und dem Fern­sehen.  Sie wollen ihr Land (von den Grundbesitzern und den Forstbetrieben), ihre Kultur und ihre Sprache (seit 2002 können sie immerhin diese bei Amtsgeschäften benutzen) wieder zurück haben.  – Wir sind eilig, weil am Mittwoch eine Fähre zur Carretera Austral abgehen soll. Wir schaffen es bis in die Zone der vielen, großen Seen Südchiles, vorbei an Dörfern wie „Peor que Nada“, „Nuevo Braunau“ (!) und bleiben in Nacht in der Billigstunterkunft in Los Lagos. Dieses idyllische Seen­gebiet ist bevorzugtes Touristengebiet der Chilenen und Argentinier, nicht für uns, da es der Schweiz oder Österreich ähnlich ist, mit dem Unterschied, dass die Berge hier oft und manchmal schneebedeckte Vulkankegel sind.  Als wir im letzten Februar hier waren, sind wir aus dem be­rühmten Ferienort Pucon geflohen, weil wir nicht Stoßstange an Stoßstange uns weiter um den Vil­larica-See bewegen wollten. - Fast schon am Ende des südlichen Festland-Chiles, z.B. in Valdivia, Frutillar, Puerto Varas oder Puerto Montt hatten sich ab ca. 1850 viele Deutsche angesiedelt, Viele Chilenen hier tragen deutsche Namen, sprechen Deutsch (z.B. sprach uns einmal ein Polizist auf der Plaza in Osorno auf Deutsch an), schicken ihre Kinde in hiesige deutsche (Siedler-) Schulen (die ihrer Qualität wegen, leider selten ihres Deutschunterrichtes wegen gewählt wird), viele Geschäfte tragen deutsche Namen, in den Cafés bekommt man „Apfelstrudel“, und „Selva Negra“ (Schwarz­wälder Kirschtorte), „Kasseler con Chucrut“, usw., usw. Unendlich vieles wäre über das Deutsche und die Deutschen in Chile zu berichten. Jedenfalls wenn man sich als Deutscher zu erkennen gibt, schlägt einem immer Hochachtung entgegen.  

Dienstag. 17. Dezember 2002

In Puerto Montt haben wir Glück, auf der Fähre am Mittwoch von Quellón auf der Insel Chiloe– dem südlichste Punkt der Panamerikana zwischen Alaska und Chile -  gibt es Platz, wir setzen über nach Chiloe und suchen uns in der Provinzhauptstadt Castro eine Unterkunft mit ge­heiztem Zimmer, es ist hier kalt und nass, ganz in der Nähe des „Kolpinghauses“, wo wir das letzte Mal unterkamen. Diesmal haben wir keine Zeit, uns die herrlichen und berühmten Holzkirchen Chiloes anzuschauen, die zum Weltkulturerbe gehören. Hier ist überhaupt alles auf und aus Holz gebaut, nicht nur die bekannten Pfahlbauten an Meerufer, auch alle Neubauten entstehen so, zuerst das Haus mit Balken und Dielen „eingerüstet“, dann werden die Holzwände innen und außen ange­bracht und schließlich die Dachschindeln und die Außenverkleidung aus wetterfestem Alerce-Holz angenagelt. Die früher üblichen kleinere Häuser waren sogar transportfähig, und se gibt es heute noch den Wettbewerb beim Dorffest, welche Mannschaft beim „Häuser transportieren“ siegt.

Mittwoch. 18. Dezember 2002

Wir setzen in einer sechseinhalbstündiger Fahrt mit ziemlichem Seegang  über nach Chai­tén am oberen Teil der Carretera Austral.  Nach 1300 km  - unser Kilometerzähler zeigt mit den Umwegen 1500 km an -  und alle von Sigrid gefahren,  nicht weil das besonders praktisch für mich ist, das auch, sondern das hat seinen Grund darin, dass sie die vielen urplötzlichen Löcher oder Straßenerhebungen besser sieht als ich mit meinem Astigmatismus und der nachlassenden Seh­schärfe (vielleicht durch das viele Lesen und Korrigieren) und auch, weil sie besser abschätzen kann, welche Geschwindigkeit man an bestimmten Stellen fahren kann. In einer Cabaña mit Öfchen finden wir Unterkunft. Mir scheint es wie eine Manie: überall entstehen Cabañas für die Touristen, wohl auch, weil diese oft mit Kind und Kegel ankommen und sich selbst verpflegen wollen. Unter­künfte gibt es genug auf dieser neuen 1000 km langen Strecke, die es erst 15 Jahren durchgängig gibt. Ob das aber in der Hochsaison, den Ferienmonaten Januar und Februar, auch so ist?  Wir wollten jedenfalls vorher dagewesen sein. Aber vielleicht war das ein Fehler, das Wetter ist (noch) ziemlich schlecht, zwar meist ohne Regen, aber bedeckt und die Schneeberge im Nebel. –

Gleichwohl gilt die Carrera Austral „zu machen“ als einer der ganz großen Hits Südamerikas (ver­gleichbar dem Machu Pichu, dem Pantanal, den Iguazu-Fällen, den Gletschern Patagoniens, den Oster- oder Galapagos-Inseln, o.ä). Und wem hat man das zu verdanken? Dem geliebt-gehassten. Pinochet, der diesen Landweg in die südlichste Zone Chiles z.T. mit Brachialgewalt in die Felsen und durch die undurchdringlichen Andenurwälder hauen ließ. Sicher auch, um den Aufmarsch der Truppen zu beschleunigen im Grenzstreit gegen die Argentinier, der Konflikt konnte gerade noch vor Kriegsausbruch durch den Schlichterspruch des Vatikans verhindert werden.  Für die Umwelt­schützer ist diese Stein- und Erdpiste eine ökologische Katastrophe, für den Touristen der absoluter Höhepunkt und für uns ein Traum seit zwei Jahrzehnten. Aber noch ist die Australzone nicht ganz per Landweg erreichbar (man muss immer noch den Umweg über Argentinien machen), der uner­messliche südliche Eisschild mit seinen endlosen Gletschern Moränenseen versperrt den Weiterbau. Ob man ihn „überbrücken“ will?

Donnerstag. 19. Dezember 2002

Dieser Tag hat es in sich. Zunächst ist die Steinstraße, trotz der vielen Buckeln noch ordent­lich, 50 Stundenkilometer und mehr sind drin.  Dann fahren wir querbeet auf einem sogenannten Caminito, um einen Bekannten von chilenischen Freunde aus Santiago zu suchen und zu besuchen. Aber besagter „Gringo“, Jaques Shmitt, ein nordamerikanischer Hispanist und Übersetzer, der sich hier in seinen alten Tagen ein Stück Land gekauft hat, es bewirtschaftet und ein passionierter Ang­ler und Tangotänzer sein soll, früher soll er Tangokurse gegeben haben und jetzt auch für die Be­wohner der umliegenden Dörfer. Er war also „stadtbekannt“ und es war nicht schwer, seine Fundo-Adresse herauszufinden, wohl aber ihn zu finden; Auf dem Hof waren die Pferdekoppel leer, die Hühner gackerten, die vier Hunde bellten mich an, an der Tür zur Wohnhütte, in der man große Alukessel und Käselaibe sah, hing ein Schloss, in das ich einen Brief mit Gruß und unseren Tele­fonnummern (obgleich es von hier keine Möglichkeit für Telefonate gab, auch nicht per Handy) steckte, Wäsche auf der Leine war heruntergefallen, alles sah aus, als ob man gestern oder heute ausgeritten wäre.  – Das Wetter wurde schlechter und nach anstrengender, mühsamer Fahrt be­schlossen wir schon am frühen Abend in dem Örtchen La Junta eine Unterkunft zu suchen. Das einzig gute Hotel verlangte Mondpreise, wir wollten aber bloß schlafen und gaben uns deshalb mit einer billigen, aber geheizten Herberge zufrieden. Um Essen zu gehen, waren wir zu müde. Der Ort hatte – sehr wichtig für uns - eine Tankstelle und sogar eine Gomería,  wir den rechten Hinterreifen vulkanisieren lassen konnten.

Freitag. 20. Dezember 2002

Am Morgen war das Wetter immer noch grau und trübe, wir fuhren an den schönsten Schneebergen, den bizarrsten Felsformationen, der wundervollsten Landschaft vorbei und konnten, selten genug, ihre Schönheit im grauen Wolkenschleier nur erahnen. Gegen Mittag bekamen wir dann den ersten Gletscher, den Glaciar Colgante, wenigstens teilweise zu sehen, nach einstündigem Warten bis die Wolken den Blick freigaben. Dann passierten wir das Dörfchen Puyuhuapi, das seine Existenz vier deutschen Siedlern und Forschern aus der 30er Jahren verdankt, die diese Gegend zum ersten Mal mit dem Boot erreichten, hier mit ihren Familien ansässig wurden und eine Weberei gründeten, die heute noch arbeitet. Im Café Rossbach gab es deutsches Weihnachtsgebäck und schöne, alte deutsche Musik  (Lieder die meine Generation gerade noch kannte, die man sonst aber, bestenfalls noch am Hilda-Gymnasium beim Sommerfest hört, wenn sie von Frau Leineweber ar­rangiert wurden). Die Wirtin, Frau oder Tochter eines der Gründer, sprach mit uns deutsch und war traurig, als sie hörte, dass in D die Liedkultur so vernachlässigt würde. Wo sie doch eigentlich der Meinung ist, die Deutschen hätten Kultur und seien fleißig, sie stünden früh auf, nicht wie die Chi­lenen. 

Am Nachmittag kamen wir nach sehr holprigem Fahren mit 20-40 Stundenkilometern auch bei zugeschaltetem 4-Rad-Antrieb (Gott sei dank, haben wir den!) an einen Bauabschnitt, wo die Carretera anscheinend ausgebaut und sogar asphaltiert werden soll. Plötzlich auf einer lehmiger Anhöhe im Nieselwetter ein starkes Knirschen rechts vorne am Auto. Sofort Anhalten, das rechte Vorderrad stand schief heraus. Weiterfahren schien trotzdem möglich, bis wir eine bessere Stelle zum Anhalten fanden. Mir wurde ziemlich flau im Magen, als ich die Bescherung sah. Irgendwas muss in der Radaufhängung zerbrochen sein. Wie weiterkommen? wie Ersatzteile bekommen – mitten auf der Carretera, hungerte Kilometer auf schlechter Straße weg von der nächsten Nissan-Werkstätte? Oder wie abschleppen lassen? Wie viele Tage würde das dauern? Wir stoppten den nächsten Wagen, der vorbeikam, die Touristen, vier junge Israelis, die kaum Spanisch konnten, konnten nicht viel helfen, später kam ein Jeep vorbei, anscheinend ortskundig. Man sagte uns, 10 km weiter gäbe es ein Dorf und einen Mechaniker. Ein erster Hoffnungsstrahl! Ich sagte, ich würde im 1. Gang versuchen, dorthin zu kommen, sie sollten aber auch Sichtweite bleiben. Tatsächlich gelang es uns „mit Achen und Krachen“ den Ort zu erreichen. Nach stundenlangem Suchen und Warten, vielen guten Ratschlägen und Rezepten wurde langsam klar, dass eigentlich nichts gebro­chen war, auch nicht der Stoßdämpfer, sondern „bloß“ der Bolzen, an dem das Rad hing, aus der Halterung am vorderen Chassis herausgegangen war, weil die Schraube, mit der er am Chassis be­festigt ist, sich gelöst hatte. Also brauchte ich (hoffentlich) keine Ersatzteile, schließlich kamen ge­gen 21 Uhr zwei Monteure von der Reparaturabteilung für die Baufahrzeuge, die mir das Auto in ihrem Schuppen reparieren wollten. In vierstündiger Geduldsarbeit bauten sie den Bolzen aus, ban­den mit Drähten die ihn umgebende Stahlfeder eng zusammen, in mehreren Anläufen, steckten den Bolzen wieder in das Chassisloch drehten die Schraube, jetzt mit Kontermutter wieder drauf, die Drähte, die die Stahlfeder zusammenhielten wurden durchgeschnitten, das Rad wieder eingesetzt und – unglaublich – der Schaden war behoben, nachts gegen 2 Uhr, mit einem Minimum an Werk­zeug, aber sehr viel Improvisionsgeschick, und immer noch in guter Stimmung. (Ich erzählte den beiden, dass mir so was ähnliches schon mal passiert sei, mit meinem damaligen Opel Record Ca­ravan in der peruanischen Puna im Andenhochland, auch da Nieselregen, kalt, Abend, abschüssig und plötzliches Hochbocken des ganzen Vorderteils rechts, Stoppen, gerade noch rechtzeitig vor dem, ungesicherten, Abgrund. Damals habe ich es alleine geschafft, indem ich die Feder dadurch zusammendrücken konnte, dass ich schwere Steine aufs Auto vorne schob. Es war ja auch ein leichterer Wagen als der jetzige Nissan Pathfinder. Die beiden Schraubenmuttern hatten sich auf dem Schotter unterwegs gelöst und waren verlorengegangen, so dass ich die Kontermuttern vom linken Vorderrad abdrehte, sie rechts einschraubte und alle Kilometer Halt machen, unters Auto kriechen und fühlen musste, ob sie noch da waren.)        

 Ich fragte nach dem Preis für die Arbeit; sie meinten 15 000 Pesos, (20 US$), ich sagte spontan das Doppelte zu, hatte aber leider nur noch 28 000, was mit einem verständnisvollen Lachen quittiert wurde. Nach einer herzlichen Verab­schiedung von Hernan und José fuhr ich stolz zu Sigrid, die in der Pension geblieben war – ja es gab tatsächlich eine in diesem Nest Villa Amegual – und die geduldig-ungeduldig gewartet hatte. Wir waren froh, dass wir so glimpflich davongekommen waren, zugleich aber auch enttäuscht von unserem schnieken 4x4 Road Off, dass so was überhaupt möglich war!

Samstag. 21. Dezember 2002

Noch etwas müde ging es am anderen Morgen weiter, aber die Schönheiten dieser einzigar­tigen Natur blieben verschleiert, ja der Regen setzte sogar ein.  Langsam machte sich Frust breit, trotz des behobenen  Autoschadens, Sigrid kam nicht auf ihre (Foto-)Kosten. Wozu die ganze An­strengung, wenn man nicht fotografieren kann? Wenn man nichts sieht? Wir beschlossen, den nördlichen Teil der Carretera zu verlassen, in der Provinzhauptstadt Coihaique erst einmal auf bes­seres Wetter zu warten, und dann den südlicheren Teil zu befahren. Coihaique, das wir vor 25 Jah­ren von seinem damals einzigen Landzugang aus in Argentinien besucht hatten und ein gottver­dammtes Nest war, hatte sich zu unserer Überraschung zu einem modernen Verwaltungszentrum gemausert, mit  hübschem Stadtbild und modernster Infrastruktur.  Für uns hieß das nach langer Fahrt: ein anständiges, gewärmtes Hotelzimmer mit guter Dusche, Auftanken, auch der Reserveka­nister, uns mit Geld aus dem Automaten zu versorgen und eMail-Post abzuholen und zu beantwor­ten im Internet-Café, eine möglichst aktuelle Zeitung zu erstehen, und dann schick aus Essen gehen, d.h. in unserem Alter, ein ordentliches Stück gutes Fleisch mit Salat, evtl. Kartoffeln und eine Fla­sche Rotwein dazu, das Nationalgetränk Chiles, den Pisco Sour, hatten wir noch bei den Vorräten.  – Aus dem Internet erfuhren wir u.a., dass der Cowboy Bush weiter gegen Irak zieht, dass die Deut­schen vielleicht doch nicht ganz dagegen sein werden, dass Merz die Merkel beschimpft, dass Schröder keine Witzfigur sein möchte – und ganz wichtig für uns: dass das Wetter hier in Coihaique be-scheiden bleiben würde in den nächsten Tagen. Was also machen? Nach langem Überlegen be­schließen wir, dass wir morgen weiterfahren, und wenn es ganz im Süden auch schlecht ist, wollen wir nach Argentinien ausweichen.

Sonntag. 22. Dezember 2002

Ein Sonntag-Sonnen-Tag wie gemalt, strahlende Sonne! Nach 100 km Asphalt geht die Fahrt langsamer weiter „über Stock und über Stein“. Endlich sehen wir die wilde Schönheit dieser Bergmassive mit ihren Spitzen und Zacken, mal mit Schnee, mal ohne, dazwischen liebliche Täler und Almen, auf denen Kühe oder Schafe weiden. Mal weite Täler, mal enge Schluchten, durch die sich die Carretera windet. Wir machen einen kleinen Fußmarsch, um zu den fast zehntausend Jahre alten „Pinturas rupestres“ zu gelangen, einer Art Wandmalerei, wo aber nur Hände abgebildet sind, mal in Weiß, mal in Rot, auch in Schwarz  - mal als Negativ, mal als Positivzeichnung.  Für die Forscher ein Rätsel, (Später werden wir in Argentinien noch viel mehr solcher Malerei bestaunen können.). Langsam nähern wir uns dem zweitgrößten See Südamerikas, den die beiden Nachbarlän­der sich aufgeteilt haben, (ähnlich übrigens wie beim größten See des Kontinents dem „Lago Titi­caca“), und der in seinem chilenischen Teil „Lago General Carrera“ und in seinem argentinischen Teil „Lago Buenos Aires“ heißt. Aber vorher kommen wir noch vielen Bächen, Flüsschen, einigen Lagos und vielen Lagunas vorbei. Viele davon in einem wunderschönen leuchtendem Türkisblau, manche schimmern in anderen Blautönen (calypso, sagt der Reiseführer), andere in einem gelben Ton,.  Der Weg ist oft gesäumt von Stauden wie Bambus (erstaunlich in diesem Klima) oder einer Lupinenart, je nach Gegend blau, rötlich oder gelb, aber immer viele, viele blühende Sträucher, dicht bei dicht. Ein Tag wie gemalt und Sigrid hat dauernd die Qual der Auswahl beim Fotografie­ren. Unser Ziel ist Cochrane, fast am Ende der Ausbaustrecke, fast am Ende der Welt. Aber bei dem Tempo werden wir das nicht mehr schaffen, und so beschließen wir, wieder zu dem Örtchen Puerto Tranquilo zurückzukehren, das wir zuletzt durchfahren haben. Zumal wir von dort mit dem Boot die sog. „Marmorkapelle“ besichtigen können, wo die Wände einer Höhle wie poliert in leuchten­den Farben schillern. Wir finden eine hübsche Cabaña mit Öfchen.

Montag, 23. Dezember 2002

Am anderen Morgen große Enttäuschung, das Wetter ist zu schlecht, als dass wir bei dem Wellengang, der General Carrera-See ist sehr tief, mit dem Bötchen uns rauswagen sollten, auch könnte das Boot gegen die Felsen der Grotte geschleudert werden, wir würden von den Schönheiten bei dem Licht auch nichts sehen, meinte der Bootseigner, dem dadurch ein Geschäft entgeht, aber er wollte uns klaren Wein einschenken. Also beschließen wir eine andere Tour zu einem nahe gelege­nen Gletscher, kehren aber auf halbem Wege wieder um. Es gießt inzwischen feste. Nun brechen wir unsere Südreise ab, auch die Einladung zu einer weit abgelegenen, einsamen Hacienda auf dem Weg dahin, deren Besitzer wir am Abend kennensgelernt hatten und wo wir heute hätten beim Kä­seherstellen zusehen können. Also ab nach Argentinien! Aber wie? Zurück die 200 km über Balma­ceda bei Coihaique, wäre die leichteste Route, aber dann hätten wir in Argentinien einen sehr gro­ßen Anmarsch auf Schotterpiste zu unseren dortigen Zielen, dem der Gletscher- und Seengebiete. Die andere Route geht über den Grenzort Chile-Chico am General Carrera-See. Der direkte Weg am Südufer vorbei scheint uns zu gefährlich, da er z.T. in den Stein gehauen ist und wir in den See abrutschen könnten.  Die 170 km ans Nordufer haben den Nachteil, dass wir dann mit der Fähre übersetzen müssen und lt. Reiseführer nicht jeden Tag eine abgeht. Dennoch wählen wir diese Al­ternative und kommen nach beschwerlichem Fahren, bei dem Regen sind die Steine glatt und die Tiefe der Löcher, in denen der Regen steht,  kann man nicht erkennen. Sigrid fährt fantastisch, den­noch kommen wir müde am Einschiffungsort Puerto Ibañez an. Wir haben Glück, morgen früh um acht geht die Fähre nach Chile-Chico. Leider ist sie für Autos schon voll ausgebucht. Man will uns auf die Warteliste setzen. Dem Kapitän mache ich klar, dass wir am nächsten Tag, Hl. Abend, in Argentinien dringend erwartet würden. Nach langem Beratschlagen mit seiner Mannschaft erhalten wir das erlösende Plazet, es geht doch und wir sollten um 7 Uhr dasein. In ihrem Schuppen hatten sie am offenes Feuer ein Lamm zum Braten hängen. Ich fragte, wo sie denn das Bier dazu hätten. Und als sie keins hatten, versprach ich jedem der siebenköpfigen Besatzung morgen eine Flasche zu stiften, aus Dankbarkeit. – Eine einfache, saubere, billige und warme Unterkunft fanden wir auch, „Vientos del Sur“, mit weniger als 20 US$ einschließlich Abendessen. Da die Saison nur 2-3 Mo­nate dauert, müssen beide Eheleute auch anderweitig arbeiten, sie in der Gemeindeverwaltung, er u.a. als Abgeordneter der UDI, der „extremen Rechte“ – Er hat erstaunlich vernünftige, gar nicht extreme Ansichten. Rene, der sympathische Wirt erzählte mir abends am Kaminfeuer von den Schwierigkeiten dieses abgelegenen Landstriches, u.a. dass sein Sohn, der nach der 8. Klasse auf die Sekundaria sollte, montags bis freitags in das (bloß) 130 km entfernte Coihaique muss, was viel Geld kostet. Die Schulversorgung in den kleinen Dörfern hier sei oft noch viel schlechter, die wei­ten Wege, und dann auch nur bis zur achten Klasse. Wer weiter will, muss für Schulgeld und Inter­nat teuer bezahlen und sein Kind oft für Monate weit weggeben, und in dem Alter, fügte er beküm­mert hinzu. – Er berichtete von dem geplanten norwegischen Aluminiumwerkes, das zwar der Re­gion einen wirtschaftlichen Aufschwung verspricht, Arbeitsplätze, Infrastruktur, etc. aber auch die Umwelt zu kontaminieren droht. In etwa zwei Monaten müssten sie, die Abgeordneten, darüber entscheiden. Sie hätten die Firma zum Vortrag eingeladen, auch die Umweltverbände, jeder rede aber nur pro domo. Man habe die Firma um genaue Unterlagen gebeten. Diese hätten einen extra großen Wagen geschickt, und 41 dicke Bände mit Informationen abgeladen. die sie, die Abgeord­neten, aber nicht auswerten könnten, eigene Experten dazu hätten sie auch nicht, und die Umwelt­schützer, die würden auch nur gute Ratschläge geben, täten aber sonst nichts. Er fühle sich überfor­dert, da er nicht über das Fachwissen verfüge.

Dienstag, 24. Dezember 2002

Rene, der freundliche Wirt entlässt uns um 7 Uhr mit einer aguita, einem Tee-chen und ei­nem ganz herzlichen Abrazo, einer Umarmung. Ich hatte ihm zum Abschied noch zwei ganze, aber ältere Zeitungen geschenkt, „Gold“, sagte er, sei das für sie. Dann geht’s zur Fähre, wo wir dann doch noch fast eine Stunde zitterten, ob der Kapitän Wort halten würde. Aber als wir sahen, wie zwei schwere Sattelschlepper hin und her rangieren mussten, um noch die letzten Zentimeter Platz freizugeben, wussten wir, dass wir es schaffen werden. Am Ende bestiegen noch die Passagiere zu Fuß und einige per Fahrrad die Fähre, eine junge Frau mit einem 6jährigen Kind und einem vier Wochen alten Baby nahmen wir zu uns in das warme Auto. Sie stamme aus Cochrane ganz im Sü­den, studiere aber in Temuco, von wo sie schon zwei Tag im Bus unterwegs sei, um am Hl. Abend bei ihrer Familie und bei Freunden zu sein. Das Wetter war klar, aber der patagonische Wind blies einen fast um. Trotzdem gab es unter den Radfahrern zwei in kurzen Hosen, zwei Brasilianer, mit immer guter Laune und merkwürdigen Ansichten, z.B.  es seien ja die Europäer, die von der grünen Lunge des brasilianischen Regenwaldes lebten. Also dann sollen die auch bezahlen. Oder: Wer ist der größte Kaffeeexporteur der Welt? Die Bundesrepublik Deutschland. Die kaufe den Rohkaffee auf und verkaufe ihn weiter. Ich war es bald leid, solche Ansichten zurechtzurücken, zumal immer neue, haarsträubende Argumenten hinzukamen. Nach zweieinhalb Stunden Schaukelfahrt quer über den See kamen wir an den Grenzort Chile-Chico.  Hier am See wie auch schon in Puerto Ibañez herr­sche ein Mikroklima, das Mittelmeerfrüchte und Kirschen u.a. gedeihen ließ. Aber in diesem Jahr sei man einen Monat hinter der üblichen Erntezeit und an Weihnachten gäbe es diesmal nicht die gewohnten Früchte. Schuld an allen, auch an dem für die Jahreszeit ungewöhnlichen schlechten Wetter, - das uns ja nach Argentinien hat ausweichen lassen - habe der El Niño, unter dem wir ja schon in Santiago gefroren haben. Vor dem Grenzübergang riefen wir noch kurz unsere Kinder an, die uns dann über eine Preselect-Nummer lang zurück anriefen. Gott sei Dank, dass sie eine schöne Weihnachtsfeier haben werden, zusammen mit unseren Mitschwiegereltern und meiner Schwester . Zum ersten Mal, dass wir nicht dabei sind. Voriges Jahr in Brasilien waren wir dabei, aber nicht unsere Mitschwiegereltern. So müssen jeweils die einen die anderen vertreten. Trotzdem ein eigen­artiges Gefühl heute an Heilig-Abend. Wo werden wir heute Abend sein?  Beim Verlassen der Tele­fonzentrale stießen wir auf zwei deutsche Radfahrer, die wir kurzerhand zu Kaffee und einer Art von „Weihnachtsstollen“ einluden. Das Ehepaar, um die  dreißig-fünfunddreißig,  ist seit 14 ½ Mo­naten mit den Rädern von Kanada aus unterwegs mit bisher 19.500 km, und man will bis Feuerland kommen. „Schade“, sagte die junge Frau, „nur noch 2 ½ Monate“ und dann geht`s wieder nach Deutschland zurück, wo er Journalist und sie Krankenschwester ist. Die sehr angenehme Unterhal­tung mit Landsleuten, die in vielem ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie wir -  allerdings auch sehr unterschiedliche aus der Perspektive des Rad- und nicht des Autofahrers – hatte schon auch was Weihnachtliches an sich; das empfanden sie auch.  – Zumal beide Seiten schon lange nicht mehr einen so ausgiebigen Austausch in der eigenen Muttersprache führen konnten.

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Teil 2

Dienstag, 24. Dezember 2002 Fortsetzung:

 Der Grenzübergang ging schnell, an so einem Tag haben die Zöllner nicht viel zu tun. Sie waren aber wie alle hier sehr herzlich. Dann weiter, ganz ungewohnt auf Asphalt, zu der Stadt Perito Moreno, ein langweiliges Nest, wo wir im einzigen offenen Hotel heute ein Zimmer beka­men. Im dazugehörenden Restaurant bestellten wir für den Abend ein gutes argentinisches Steak, sprich Bife de Chorizo. Als Nachtisch gab es Baklewar, eine orientalische Süßspeise. Auf unsere Verwunderung erklärte uns die alte, bucklige Wirtin, dass sie als Kind  mit ihrem Vater aus dem Orient eingewandert sei und eigentlich eine libanesische Druidin sei und wie viele hier. Sie war sehr liebenswürdig, alles war von ihr selbst zubereitet worden, auch das Spanferkel als Vorspeise. Uns gegenüber nahm sie kein Blatt vor den Mund und schimpfte auf die Korruption, die Regierung, die Faulheit ihrer Landsleute, die sich in den 1-Dollar = 1-Peso-Zeiten an das dolce vida gewöhnt hät­ten.  Aber weder ein Militärregime oder (Gott bewahre!) eine neue Menem-Regierung (der bisher zweimalige Präsident Menem ist meines Wissens auch Libanese) brächten keine Lösung, es gäbe keine. - Außer uns waren nur wenige Gäste und die Verwandtschaft der Wirtsleute da; es war ein wirklich angenehmer Abend, auch mit Kerzchen, Plastikschmuck und Geschenken für die Kinder, aber eben nicht unser Weihnachten.

Mittwoch, 25. Dezember 2002

Jetzt begann die mehr als 1000-Kilometer-Fahrt durch das argentinische Patagonien auf der berühmt-berüchtigten N 40. Eine Schotterpiste, die mehr als 2000 km entlang der Anden nach Sü­den führt. Die zweite Route nach Süden, die N 3 an der Atlantikküste vorbei, sei gepflastert. Diese wollen wir auf der Heimfahrt nehmen. Das Geratter und Gerumpel, oft wie Waschbrett, will kein Ende nehmen. Ein Glück, dass wir Allrad-Antrieb haben und daher nicht umkehren müssen. Ja, es gab Stücke, wo man ganz flott, 70-80 Stundenkilometer fahren konnte  Aber zunächst machte wir einen Abstecher zu der Cueva de las Manos, Patagoniens „Sixtinische Kapelle“, wie ein Reiseführer schreibt, wo uns vor allem rote, weiße, gelbe Zeichnungen entgegenleuchten, insbesondere 700 Hände, einige Guanakos und Zigzaglinien und Kreise, so wie schon auf der südlichen Carretera Austral in Chile, obwohl die Künstler vor fast 10 000 Jahre gelebt haben. auch hier sind es zierliche Hände, mit und ohne Arme, in Positiv- oder Negativzeichnungen, die die Ureinwohner, wahr­scheinlich Tehuelche-Indianer - aufgemalt haben, und die mit kaum merkbaren Veränderungen in anderen Epochen von über 1000 Jahren hinweg weiter tradiert wurden. Solche Höhlenmalerei gibt es auch an anderen Orten in Patagonien. Warum ausgerechnet Hände? rätseln die Wissenschaftler und erfinden abenteuerliche Theorien. - Dann geht es weiter auf der Waschbrettpiste. Am Abend finden wir bei dem Flecken Bajo Caracoles eine Unterkunft und können auch Benzin tanken.

Donnerstag, 26. Dezember 2002

Weiter auf der N 40, die Pampa scheint unendlich eintönig, nimmt uns aber gefangen. Wa­rum wohl? – so fragte sich schon Darwin -  vielleicht wegen des ewig steifen Windes, bei dem man kaum eine Autotüre auf- oder zukriegt. Selten eine kleine, in eine Windnische des recht flachen Landes geduckte Hazienda, kaum Büschelgras, daher kaum Schafe, viel schwarzes Gestrüpp oder lockerer Geröllboden. Kaum Fotomotive, vier Fünftel des Bildraumes wäre Horizont. In dieser baumlosen Trockensteppe soll es dennoch 15 Millionen Schafe geben. Also muss es auch fruchtba­rere Zonen geben mit Strauch- und Büschelgras als hier. Hier jedenfalls scheint der Wind das einzig Belebende zu sein. Bei dem Örtchen Tres Lagos verlassen wir die N 40 und die Pampa und biegen ab in die Anden, um an dem imposanten Gletschersee Lago Viedma vorbei, in das Bergmassiv des erhabenen Fitz Roy, so benannt nach dem Kapitän der „Beagle“, auf der Charles Darwin 1831 kos­tenlos mitreisen durfte, zu gelangen. Hier ist vor zehn Jahren der Touristen- und Bergwandererort, die Trekkingmetropole Argentiniens El Chalten entstanden.  Die Hotelpreise sind, entsprechend der boomenden Tourismusbranche, gesalzen. Was wir nicht wussten, der vergletscherte Fitz Roy selbst mit seinen Türmen zeigt sich nur selten ganz unverhüllt, ohne in Wolken eingetaucht zu sein

Freitag, 27. Dezember 2002

Und da auch am nächsten Tag keine Aussichten auf wolkenfreien Himmel bestanden, und wir durchaus nicht als Bergwanderer oder gar Bergsteiger herkamen, ziehen wir traurig ab, zurück auf die N 40 und weiter zu dem weltberühmten Parque de Glaciares in dem Seengebiet bei Calafate, wo wir uns für vier Tage uns einquartieren. 

Samstag, 28. Dezember 2002

Das schmucke Städtchen am See Lago Argentina hat sich in den zehn Jahren, seit wir zum ersten Mal da waren, - damals auch über Weihnachten - sehr herausgeputzt.  Der Lago Argentino ist lang und hat viele Äste. In einen Ast mündet der Gletscher Perito Moreno (nicht zu verwechseln mit dem Städtchen, wo wir übernachtet hatten). Der 35 km lange Gletscher rückt 40 cm pro Tag vor, taucht in den See und „durchschreitet“ ihn auf vielleicht 10 km Länge und in einer Breite von 2-4 km; er hat eine Höhe von 50-55 Meter über dem See und geht noch tiefer in den See hinein. Er er­reicht das anderen Seeufer, wo ständig Abbrüche erfolgen. Wenn es sich festbäckt, dann wird der Oberlauf des Seearmes abgeteilt, das Wasser staut sich und mit fürchterlichem Krachen stürzt das Gletscherende ein, das Stauwasser bahnt sich wieder seinen natürlichen Abfluss. Das geschah frü­her in 4-6 Jahres-Intervallen, ist aber in den letzten Jahren ausgeblieben. Für mich ist der Gletscher am imposantesten, wenn man den Eismassen direkt gegenübersteht. Man spürt die Gewalt der mächtigen Natur und im Gegensatz dazu die eigene Kleinheit besonders stark. Ein großartiges Er­lebnis ist es auch, wenn man mit dem Schiffchen an der Gletscherlängsseite vorbeifährt und die Riesenstücke, die dauernd abbrechen, in den See kalben sieht. Ja, an einer Stelle kann man mit Steigeisen sogar den Gletscher ein kleines Stück „betreten“, entlang gehen an bizarren Formationen, unter oder neben sich das gurgelnde Wasser im Innern des Gletschers beobachten. Ich finde den Perito Moreno-Gletscher den schönsten, vor allem, weil man ihm so nahe kommen kann. Sigrid gelingen die tollsten Aufnahmen. Auch wenn keine Sonne scheint. Denn dann leuchten die sauer­stoffarmen, besonders dichtgepressten Eisklötze nicht weiß, sondern schimmern intensiv bläulich. Wir hatten aber einen wunderschönen Sonnentag, und zu Hause merkte ich, dass das Eis die Strah­len so stark reflektierte, dass ich einen starken Sonnenbrand im Gesicht bekam.  – Auf dem Nach­hauseweg zu dem 80 km entfernten Calafate zurück, welch eine Überraschung! begegnen wir unse­ren deutschen Radfahrern. Die können doch nicht hergeflogen sein! und bei dem Wind, wo sogar unser Allrad öfters auf der Schotterstraße „schwamm“! Nach der freudigen Begrüßung stellte sich heraus, dass sie ganz schlicht den Bus genommen hatten. Sie hatten es probiert, gegen den Wind anzufahren, aber der Leidensdruck war zu groß, auch gab es auf den langen Zwischenstücken für sie keine Unterkünfte oder Möglichkeiten zum Zelten.    

Sonntag, 29. Dezember 2002

Heute machten wir eine Tagestour mit dem Katameran auf dem Nordast des Lago Argen­tina. Das Schiff fuhr an mehrere große Gletscher des Südlichen Eisschildes heran, der schönste ist der Spegazzini-Glaciar, der größte der Upsala-Gletscher, mit einer 60 km langen Zunge und einer Frontbreite von etwas 7 km, -fünfmal so groß wie der Aletsch, der mächtigste Alpengletscher -  Er ist dreimal so groß ist wie der Perito Moreno oder wie Groß- Buenos Aires. Das empfindet man aber kaum, wenn man mit dem Schiff die Front abfährt. Ich persönlich finde den Perito Moreno am beeindruckendsten. Mehr als alle Gletscher haben uns die vielen großen und kleine Eisberge im Wasser in Erstaunen versetzt, um die das Schiff herumfahren und sich ein Weg suchen musste, zu­mal bekannt ist, dass das 7-9fache der Eismasse unter dem Wasser liegt. Die abschmelzenden Bro­cken nehmen die unbeschreiblichsten und bizarrsten Formen an, die man sich vorstellen kann. Wir sind überwältigt und schauen bei der Rückfahrt dem langsam verschwindenden Uppsala und den Eisbergen noch lange nach. Andere deutsche Touristen, die neben mir standen, hörte ich sagen, „der Ausflug heute hat sich gelohnt“. So verschieden sind die Menschen.

Montag, 30. Dezember 2002

Sigrid fährt nochmals zum Perito Moreno und ich bleibe zuhause und beginne mit meinem Reisebericht, den ich für die Kollegen des Hilda-Gymnasium schreiben will. Es wird höchste Zeit, denn ich habe viele Erlebnisse schon ganz oder halb vergessen. Der Eindrücke sind einfach zu viele! Mir fällt es auch leichter hier zubleiben, So ein großer Naturfreund bin ich nun auch wieder nicht. Am Abend kommt Sigrid wieder einmal sehr begeistert zurück. Nachmittags auf dem Rück­weg hat sie wieder einmal unsere deutsche  Radfahrer getroffen, die gerade Empanadas essen gehen wollten. Wir machen uns sofort auf, sie zu treffen und verbringen noch eine schöne Stunde mitein­ander. (Wer will, kann übrigens deren höchst interessante Reiseberichte auf ihrer eigenen Home­page „www.durchamerika.de“ nachlesen. Sie sind natürlich auch mit Laptop und Digitalkamera ausgerüstet) Später schauen wir im Internet nach neuen eMails und dem Wetterbericht, der für die nächsten Tage Regen und Wolken verheißt. Also beschließen wir morgen umzukehren und die Heimfahrt anzutreten.

Dienstag, 31. Dezember 2002

Schon halb auf dem Weg und mit frischem Geld, Benzin und etwas Proviant versorgt, schauen wir nochmals nach dem Wetterbericht im Internet. Denn es wurmt uns doch ziemlich, dass wir wegen des schlechten Wetters auf die Torres de Paine  - Höhepunkt in dieser an Großartigkeiten kaum überbietbaren Gegend –  verzichten sollten, und das nur ein paar Autostunden von Calafate entfernt, aber schon wieder in Chile!  Doch, o Wunder!, es soll dort heute Sonnenschein und mor­gen soll es keinen Regen geben.  Dann also, nichts wie hin! Versuchen wir’s. Weil Silvester ist, wollte ich im dortigen Nationalpark per Anruf ein Zimmer bestellen, gibt es auch – zu Mondpreisen für 199 US$. Da wollen wir es zuvor lieber auf irgendeiner Estancia oder einem schäbigen Residen­cial auf dem Wege Nationalpark versuchen, falls es das gibt.  Nach einigen Stunden Schotterweg überqueren wir die Grenze und gleich dahinter in Cancha Carrera finden wir ein wunderschönes Landhotel, eingerichtet im ehemaligen Herrenhaus einer aufgelassenen Estancia, für bloß 75 US$ mit Frühstück. (Normalerweise bezahlen wir in Chile 25-30 pro Nacht.) Wir akzeptieren, zumal es nur noch 60 km bis zum Parkeingang sind, aber auch, weil wir es uns heute gut gehen lassen wol­len, und es zur Feier des Tages für die Gäste, außer uns eine  US-Sechsergruppe, ein Festessen ge­ben soll. Dann fahren wir noch ein Stück in den Park hinein. Sigrid gelingen bei der späten Abend­sonne noch die herrlichsten Aufnahmen von diesem bizarren, in mehreren spitzen Türmen enden­den, z.T. in ewigem Schnee gleißenden und z.T. wie poliert wirkenden Bergmassiv. Auf dem Heimweg beschert uns die Abendsonne eine herrlich durchleuchtete Landschaft, und uns wurde wieder einmal klar, wie schön das von manchen als langweilig empfundene Patagonien ist. -  Das Abendessen hält, was uns versprochen wurde, vor allem das zarte, am offenen Feuer gebratenen Fleisch, schmeckt uns. Für den Champagner mit Torte um Mitternacht reicht unsere Kondition lei­der nicht mehr; müde aber höchst zufrieden gehen wir schlafen, wir sind wirklich nicht mehr die Jüngsten und gerade ich brauche leider sehr viel mehr Schlaf als früher

Mittwoch, 1. Januar 2003

Auch das Frühstück in diesen Räumen des ehemaligen Herrenhaus ist angemessen über­schwänglich. So viel Luxus tut auch mal gut. – Man muss wissen, die Estancias früher, das war nicht eine einzeln Rinder- oder Schafsfarm, sondern eine Ansammlung von Gebäuden, in denen die Peones mit ihren Familien wohnten und ihre Gemüsegärtchen bebauten, mit Stallungen für kranke Tiere und die Schafsschur, mit Landapotheke, Gemischtwarenladen, einem Herrenhaus, in dem der Verwalter wohnte, etc (die Besitzer lebten oft in der Großstadt, in Buenos Aires oder Paris). Also ein richtiger, kleiner Weiler.  Heute sind die Estancias, die wir in Patagonien gesehen haben, viel kleiner, haben ihr Stromaggregat und Fernseher und die Gauchos fahren in die Stadt zum Einkau­fen. Geblieben ist die Gewohnheit, die Häuser, auch die vielen neuen Siedlungen um die Städte, quasi in Fertigbauweise aus Holz und Wellblech herzustellen und bunt anzustreichen, die aber innen oft sehr komfortabel ausgestattet werden. Unser Hotel ist, erstaunlich, aus Stein.

Wir fahren endlich in den Nationalpark Torres de Paine hinein. Dieses Geflecht aus längeren Seen und kleinen Lagunen, die zwischen die einzelnen Anhöhen  und Berge eingestreut daliegen und in blauen, gelben oder grünen Tönen schimmern, geben den gewaltigen Bergriesen ein geradezu lieb­liches Aussehen, was durch die farbige Blumen- und Pflanzenpracht der Täler noch verstärkt wird. Dazwischen unvermeidlich, wie überall in Patagonien, die verstreut daliegenden Ruinen der Baum­riesen, die von den früheren Siedlern beim Brandroden hinterlassen wurden. Heute ist bewirtschaf­ten hier verboten. Immer wieder wechselt der Anblick auf das Hauptmassiv, aber auch auf die fer­neren, unzugänglicheren Nachbargebirge und Schneeberge. Die Türme und Hörner der Torres sind dunkelfarben, weil sie über dem Eis lagen, während die tiefer liegenden Schichten des Massivs heller sind, geschliffen und aufgesprengt durch das Eis. Die Torres de Paine sind ein Paradies für Bergwanderer; es gibt gut ausgebaute Wanderwege für mehrstündige bis mehrwöchige Touren mit Berghütten. Mich erinnert dieses Gebirge ein bisschen an die Brenda in Südtirol.  Man kann aber auch mit dem Auto bis 40 km hineinfahren. Der nicht ganz ungefährliche Erdweg, den Sigrid, durch viele miserable „Straßen“ gestählt, wie nichts fährt, windet sich zwischen Anhöhen und Seen hin­durch bis zu einem Gletschersee, in dem Eisblöcke liegen wie gestrandete Wale. Mit dem Katama­ran kann man dann noch für 60 US$ zum Gletscher selbst fahren, den man aber auch so schon se­hen kann. Wir verzichten, überhaupt scheinen uns die Preise hier für Individualtouristen unbezahl­bar. Auf dem Weg hierher begegnen wir häufig Guanakoherden, die wohl den Rummel um ihre Person gewöhnt sind und sich großzügig über unsere Anwesenheit hinwegsetzen; da sind die Ñan­dus, eine Vogel-Strauß-Art, die wir auch oft sehen, schon ein klein wenig scheuer.

Am Abend verlassen wir den Park in Richtung Puerto Natales, wo wir in einem Hotel mit roten Plüschzimmer aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts übernachten. Wir überlegen noch, ob wir noch nach Punta Arenas, der chilenischen Großstadt, ganz an der Südspitze des Kontinents weiterfahren wollen oder nicht.

            Donnerstag, 2. Januar 2003

            Puerto Natales kennen wir schon durch zwei Besuche und sind wie beim zweiten Mal jetzt wieder überrascht, wie dieses gottverlorene Nest am Ende der Welt sich doch zu einem schmucken Städtchen gemausert hat. Hier ist die Zeit nicht stehen geblieben. Der Tourismus vor allem hat der Stadt Leben eingehaucht und man hört ein Gewirr von allen möglichen Fremdsprachen in den Gast­häusern, den Geschäften und Hotels.  – Wir beschließen, nicht mehr über Punta Arenas zu fahren, das wäre zuviel Umweg, und eine Stippvisite hat diese großartige Stadt nicht verdient. Wir kennen sie ja. Beim nächsten Mal wollen wir dann auch mit mehr Zeit als jetzt durch die Kanäle und in das südliche Eismeer.

Also setzen wir nach über 5000 km zur Heimreise an. Diesmal soll es aber nicht mehr die Schotter- und Erdpiste N 40 sein, sondern wir wollen zur Atlantikküste hinüber und uns dann die zweite, aber asphaltierte Straße vom Süden nach Norden hochrobben. Bis zum Asphalt haben wir noch ca. 170 km schlechte Stein- und Schotterstraße, die wir trotz zugeschaltetem Allradantrieb nur mit 20-40 Std.km fahren können. Aber was dann kommt, ist schlimmer, 80 km lang reiht sich ein tiefes Loch ans andere und Graben an Graben; ausweichen ist sinnlos; man fällt in diese Löcher von der harten „Asphaltkante“ tief hinein. Ach hätten es die Argentinier doch bei der Schotterpiste belassen! Aber so werfen sie entlang des Weges mehrspurige, riesige, autobahnähnliche Gruben und Pisten auf, stellen Schilder auf, dass hier Baufahrzeuge verkehren und man vorsichtig fahren solle – und lassen alles liegen und vergammeln, kein einziges Baufahrzeug, nirgendwo Straßenbauer am Werk. Eine solche Umweltverschwendung! Sicher ist das Geld für das Projekt ausgegangen. Wer mag es sich unter den Nagel gerissen haben? – Nachdem wir kräftig gelitten und geflucht haben, kommen wir schließlich auf wirklichen Asphalt und wir fühlen uns weich wie auf Samt fahrend. Kurz vor Rio Gallegos biegen wir jetzt endlich nach Norden um. Die Verkehrsschilder erschrecken uns ein biss­chen: Buenos Aires 2570 km, Comodoro Rivadavia, der nächsten größeren Stadt im Norden, 750 km u.ä. Sie erschrecken uns deshalb, weil wir unsere intendierten Reiseziele erreicht haben und stark an den Heimweg denken, aber das sind jetzt fast 3-4000 km, und wir wollen nur noch das mit­nehmen, was am Wege liegt. Heute an diesem einen Tag haben wir den ganzen Kontinent vom Pa­zifik zum Atlantik durchquert und jetzt geht es nur noch aufwärts. Noch nicht ganz erschöpft fahren wir auf dem wunderbaren Asphalt noch 210 km, bis wir in Piedra Buena eine Unterkunft finden. (Leider zu spät erinnere ich mich, dass wir am Hilda mit Maria Christina Sturzenbach mal eine ar­gentinische Austauschschülerin hatten, deren Eltern hier „in der Nähe“ eine Hacienda besitzen)

             Freitag, 3. Januar 2003

            Am nächsten Tag hieß es ab Piedra Buena nur noch fahren, fahren, eine Pinguin-Kolonie lag zu sehr vom Weg ab, auch haben wir das menschenähnliche Treiben der Pinguine früher schon in Punta Tombo amüsiert studieren können, eine Robben- Kolonie, die wir aufsuchten, erwies sich deshalb als Nepp, weil wir soweit ferngehalten wurden, dass wir ein Fernrohr gebraucht hätten. In Comodoro Rivadavia verließen wir den Atlantik und bogen wieder in Richtung auf die Anden ab, das Ost-West-Zigzag ging weiter, aber immer schön auf Asphalt, der leider wieder sehr viel schlechter wurde. In Sarmiento suchten wir eine Unterkunft.

Unterwegs haben wir endlos viele der rohölfördernden und ewig nickenden Türmchen und viele neue Bohrtürmchen gesehen. Die fossilen Energieträger, Erdöl und Erdgas, haben der traditionellen Produktion von Wolle, Fleisch und Fisch längst den Rang abgelaufen. Neuerdings macht sich ein neuer Produktionsfaktor breit, der Erlebnistourismus, viele Estancias nehmen Touristen auf und verschaffen sich so ein zweites Standbein.

            Samstag, 4. Januar 2003 und Sonntag, 5. Januar 2003

Am nächsten Tag schafften wir es bis Esquel in den Anden. Der Weg dahin verlief z.T. wieder auf der N 40, aber diesmal asphaltiert wie ein Schweizer Käse. Umso überraschter waren wir von dem idyllischen Ort mit einer sehr guten Infrastruktur, Straßen, Plätze und Häuser mit Geschmack nach österreichischer Bergbauernwelt, flanierende Touristen in leichter Kleidung, eleganten Boutiquen und feinen Restaurants. Hier erholen wir uns einundeinhalb Tage von den Strapazen der letzten Tage. Dieser Ort ist der Hauptzugang zu den wunderschönen Nationalparks der Umgebung, zu de­nen die Großstädter aus Buenos Aires und den übrigen Großstädten im Sommer zum Bergwandern, Angeln, Reiten, etc  und im Winter zum Skifahren strömen.

            Montag, 6. Januar 2003

            Von Esquel geht es in das nahe gelegene San Carlos de Bariloche, dem Hauptzentrum die­ser „argentinischen Schweiz“, das mit 100 000 Einwohnern jährlich etwa 600 000 Gäste beher­bergt. Viele auf dem Weg zu einem der vier großen Nationalparks im Hinterland, in denen sich 105 Seen und Lagunen verstecken. Es liegt auf einer Endmoräne am tiefblauen und weitverzweigten See Nahuel Huapi, über den eine Flotte von Ausflugsschiffchen zu anderen Orten und Inseln fahren. Eine Stadt mit Flair und Stil. Was uns besonders auffällt neben den Sportboutiquen und den Fein­kosthandlungen sind die vielen Konditorläden und Pralinengeschäfte mit den feinsten, vor’m Publi­kum handgemachten Pralinesorten. Am Abend gibt es dann zum letzten Mal argentinisches Steak, genauer Bife de Lomo. In Argentinien essen wir fast nur Fleisch, Bife de Chorizo oder de Lomo, das man fast mit der Gabel zerteilen kann und dazu einen Salat und eine Flasche Rotwein.  Leider können wir nicht so viel essen, wie es gut schmecken würde. In der Regel essen wir nach dem Frühstück nur abends noch mal richtig, tagsüber wird fast nur getrunken und Obst gegessen. So halten wir es eigentlich meistens auf unseren Reisen. Das ist vorteilhaft für den Zeitfaktor, die Fi­gur, den Geldbeutel und die geistige Aufnahmebereitschaft. - Nach Bariloche werden wir mal ei­gens herkommen, denken wir.

            Dienstag, 7. Januar 2003

            Und das noch mehr, als wir am nächsten Tag halb um den See herum in Richtung Chile ab­dampfen und durch so herrliche Orte wie Villa Angosturas kommen. Hier werden wir wirklich ein­mal zum Entspannen herkommen. So was Hübsches! Und dazu noch die Natur in dieser Alpen- und Almenlandschaft! So liebliche Täler, Seen und Höhen wie an diesem Teil der Ostabdachung der Anden kann man sich kaum vorstellen, wenn man es nicht selbst gesehen hat. Die Straßen scheinen wie vom Fremdenverkehrsverein angeordnet, gesäumt mit mal blühendem Ginster, mal mit einem Teppich von Blumen, die an Scharfgarben erinnern, mal – sehr häufig – mit Wildrosen, mal mit Lupinen, in den verschiedensten Farben, mal blau, rosa, weiß. Ähnlich abwechslungsreich ist die übrige Vegetation: Pappeln, Alerce, Pinien, einige Südbuchenarten (coigüe, roble, lengua), ja sogar Fichten verschiedener Art sehen wir, z.T. als Windschutz, z.T. als Sekundärwald.

Dann kommen wir an die chilenische Grenze, sind wieder im vertrauten Chile. Und die Vegetation ist völlig anders als noch vor ein paar Kilometern. Zwar gibt es auch jetzt noch Pappeln, Alerce und Pinien, aber die Stämme sind wuchtiger, die Farbenpracht ist eingeschränkt und die Blumenmeere am Straßenrand gibt es hier kaum. Über weite Flächen sieht man eher die gleiche Farbe, alles wirkt herber, wuchtiger, rauher. Als ob die kalten und nassen Winde vom Pazifik her keine solche Man­nigfaltigkeit dulden würden. Fast könnte man sagen, dass die Grenzziehung zwischen beiden Län­dern nicht nach den Scheiteln der höchsten Gipfeln und der Wasserscheide, sondern nach der Art der Vegetation gefallen sei.

Wie beschließen noch ein Stück auf der phantastischen, chilenischen Autobahn weiterzufahren und kehren in Temuco im Hotel Bayern ein.

            Mittwoch, 8. Januar 2003

Die restlichen knapp 700 km bis nach Hause schaffen wir auf guter Straße leicht.  Dreieinhalb an­strengende Wochen mit über 8000 km, größtenteils schwieriger Fahrtstrecke, unglaublichen Ein­drücken und Erlebnissen gehen zu Ende, von denen dieser Bericht nur einen Bruchteil wiedergeben kann.

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