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Fabeln und kurze Erzählungen
Äsop
-1: Der Fuchs und der Rabe Ein Rabe hatte sich von einem Fensterbrett ein schönes Stück Käse
gestohlen und war mit ihm auf einen Baum geflogen, um den Raub zu verspeisen.
Ein Fuchs, der diesen Vorgang verfolgt hatte, dachte bei sich: "Wenn ich
es geschickt anstelle, habe ich diesen Käse zum Nachtessen." "Guten Abend, Herr Rabe!" rief er in die Höhe. "Sie sehen
heute prächtig aus. Ihre Flügel sind kaum unansehnlicher als die des Adlers.
Nie zuvor habe ich Ihr Gefieder so funkeln gesehen wie heute, und wenn Sie
eine Stimme hätten, würden Sie wie eine Nachtigall singen können." Der Rabe, erfreut über so viel Lob, wollte zeigen, daß er auch singen
konnte, und öffnete den Schnabel, wobei ihm der Käse entfiel. Der Fuchs rief
lachend: "Ich habe zwar viel über Ihre Schönheit gesagt, aber nichts über
Ihren Verstand!" griff den Käse und machte sich mit seiner Beute aus dem
Staube. Es gibt mehr Dummheit auf der Welt,‑ als Eitelkeit für möglich hält. Jean de La Fontaine: Der Rabe und der Fuchs Auf einem Baume Meister Rabe hockt, im Schnabel hält er einen Happen Käse. Vom Käseduft herbeigelockt, spricht Meister Fuchs so fein als ob er läse: "Ei, guten Morgen, Herr von Rabe, was seid Ihr hübsch, welch stattliches Gehabe! Nein, ohne Lüge, Eurer Stimme Pracht, wär sie so schön wie Dero Federtracht, des Waldvolks König wäret, ohne Zweifel, Ihr!" Der Rabe schnappt fast über vor Begier; gleich soll der Wohllaut seiner Stimme schallen: er reißt den Schnabel auf und läßt den Käse fallen; den schluckt der Fuchs; es schmunzelte der Heuchler und sprach: "Mein Herr, ein jeder Schmeichler lebt gut und gern von dem, der auf ihn hört: die Lehre ist doch wohl ein Stückchen Käse wert!" Der Rabe, wütend und verdrossen, schwor ab, jedoch zu spät, für immer solchen Possen
Bertolt
Brecht: Es war einmal ein Rabe Es war einmal ein Rabe, Ein schlauer alter Knabe, Dem sagte ein Kanari, der In seinem Käfig sang: Schau her Von Kunst Hast du keinen Dunst. Der Rabe sagte ärgerlich: Wenn du nicht singen könntest Wärst du so frei wie ich Wilhelm
Busch: Bewaffneter Friede Ganz unverhofft an einem Hügel Sind sich begegnet Fuchs und Igel. "Halt", rief der Fuchs, der Bösewicht, "Kennst du des Königs Order nicht? Ist nicht der Friede längst verkündigt, Und meinst du nicht, daß jeder sündigt, Der immer noch gerüstet geht? Im Namen seiner Majestät ‑ Geh her und übergib dein Fell." Der Igel sprach: "Nur nicht so schnell! Laß dir erst deine Zähne brechen, Dann wollen wir uns weiter sprechen." Und alsogleich macht er sich rund, Schließt seinen dichten Stachelbund Und trotzt getrost der ganzen Welt, Bewaffnet, doch als Friedensheld
Reiner
Kunze: Das Ende der Fabeln Es war einmal ein fuchs... beginnt der hahn eine fabel zu dichten Da merkt er so geht's nicht denn hört der fuchs die fabeln wird er ihn holen Es war einmal ein bauer... beginnt der hahn eine fabel zu dichten da merkt er so geht's nicht denn hört der bauer die fabel wird er ihn schlachten. Es war einmal ‑ ‑ ‑ Schau hin, schau her Nun gibt's keine fabeln mehr.
Äsop
-2: Der Hund und sein Spiegelbild Ein Hund hatte einen großen Knochen erbeutet und trug ihn fort, um sich
ungestört seines Mahles zu freuen. Als er jedoch eine Brücke überquerte, nahm er in dem klaren Wasser sein
Spiegelbild wahr und wähnte, einen anderen Hund mit einem Knochen zu sehen; seinen gierigen Augen wollte sogar scheinen, daß der andere Knochen größer
als der seine sei. Er knurrte eifersüchtig und schnappte nach dem Knochen des anderen Hundes und ließ dabei seinen eigenen los, der ins Wasser fiel, versank und ebenso verloren war, wie der andere Knochen unerreichbar blieb. Franz Kafka: Kleine Fabel "Ach", sagte die Maus, "die Welt wird enger mit jedem Tag.
Zuerst war sie so breit, daß ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, daß ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, daß ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle in die ich laufe." ‑ "Du mußt nur die Laufrichtung ändern", sagte die Katze und fraß
sie. Was
sind eigentlich Fabeln: Fabeln ( Mython synagoge ) von AISOPOS . Übs. (Auswahl) von A.
Hausrath 1944; G. Poethke, Das Leben Äsops, 1974; H. C. Schnur, Fabeln der Antike,
1978, H. Marquart 3 1985 u. d. T. Die Diebe und der Hahn: Fabeln des Äsop , W.
Binder 1988. In der ganzen Antike wurden die Fabeln einem buckligen
Sklaven namens Aesop zugeschrieben, der im 6. Jh. v. Chr. gelebt haben soll; es
gab sogar ein volksbuchartiges Leben des Aesop , in welchem zahlreiche Fabeln am
Faden einer Erzählung aufgereiht sind. Die erhaltenen Fabelsammlungen stammen
wohl aus dem 2./3. Jh. n. Chr. Das älteste Wort für Fabel ist 'ainos', im Sinn von
'bedeutungsvolle, anzügliche Erzählung', und für die alten Fabeln ist
charakteristisch, daß sie stets Rahmenfabeln sind: In einer bestimmten
Situation wird eine Fabel erzählt, um mit ihrer Hilfe einem anderen durch die
Blume die Wahrheit zu sagen. Die Fabel gehört also ursprünglich immer in einen
Zusammenhang, und auf ihn ist das 'Fabula docet' präzis gemünzt; vielfach ist
die Fabel ein Hilfsmittel, dessen sich Schwächere bedienen, um Stärkere zur
Einsicht zu bringen. Diese Funktion der Fabel ist das Entscheidende, nicht die
Äußerlichkeit, daß Tiere sprechen; es können auch Pflanzen, Götter,
Menschen sprechen und so den gerade hier Anwesenden ein Licht über ihre
augenblickliche Situation aufstecken. Häufig sind auch sogenannte aitiologische
Fabeln, welche Besonderheiten von Tieren, Pflanzen, Menschen, Dingen aus ihrem
Ursprung (aition) erklären; hier schlägt sich das Nachdenken über auffällige
Besonderheiten in Geschichten nieder, die nicht so sehr eine Lösung geben als
vielmehr das Problem als solches festhalten wollen. In späterer Zeit hat man,
von den einzelnen Situationen (dem Rahmen der Fabel) abstrahierend,
Fabelsammlungen gemacht und die Moral am Schluß (das 'fabula docet . . .') ins
Allgemeine gewendet, wodurch Frische und Reiz der alten, lebendigen Fabeln
weitgehend verloren gegangen sind. R. M. & LITERATUR: K. Meuli, Herkunft und Wesen der
Fabel, Ges. Schr. II, 1975; A. Wiechers, Aesop in Delphi, 1959; B. E. Perry, in
'Studium generale' 12, 1959; Der Äsop-Roman. Motivgeschichte und Erzählstruktur,
hg. N. Holzberg, Bd. 6, 1992. (Wilpert-LdW, Werke, 346) 1. Aufgabe im Unterricht: Bearbeiten Sie die diese
Fabeln: - Fassen Sie den Inhalt
zusammen und formulieren Sie die Lehre
daraus. - Charakterisieren Sie die Figuren. - Geben Sie ihre Beobachtungen
zu Form und
Aufbau der Tiererzählung wieder. - Stellen Sie ihre Beobachtungen
dar zur verwendeten Sprache,
z.B. zu Grammatik (Morphosyntax),
Satzbau,
bestimmten Ausdrücken
und Wörtern,
Wortarten
und Sprachbildern. 2. Hausaufgabe:
Vergleichen Sie zwei
(oder mehrere) Fabeln miteinander oder schreiben Sie eine kurze
Geschichte, auf die eine von Ihnen bearbeite Fabel passt.
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